Im Gespräch mit Lovisa Ósk Gunnarsdóttir – When the bleeding stops

Lovisa Ósk Gunnarsdóttir ist eine isländische Tänzerin. Mit dem Stück „When the bleeding stops“ bricht Lovisa mit der Stille und dem Tabu, das die Wechseljahre in den westlichen Gesellschaften umgibt. Sie transportiert uns in die Wohnzimmer der Teilnehmerinnen und geht tief in die vielen Schichten der Erfahrungen, die Frauen mit den Wechseljahren machen.

Das Interview wurde von uns aus dem Englischen übersetzt.

Wie bist Du auf die Idee für „When the bleeding stops“ gekommen?

Ich war 16 Jahre Tänzerin bei der Iceland Dancing Company. Als ich gerade 40 wurde, hatte ich mich verletzt und konnte längere Zeit nicht tanzen. Ich habe damals realisiert, wie sehr ich emotionale Themen, aber auch physische, durch das Tanzen aufgelöst hatte. Das fehlte jetzt. Man kann sagen, dass mein ganzes System kollabierte.

Eines Tages, als es mir schon wieder etwas besser ging, war ich spazieren gegangen. Als ich nach Hause kam, war ich unruhig und hatte das Gefühl, dass ich jetzt tanzen müsste, um all die Gefühle und Gedanken auszudrücken. Also zog ich die Vorhänge zu, suchte einen Song aus und begann zu tanzen. Erst nur sehr vorsichtig, aber es fühlte sich bereits ein bisschen besser an. Ich merkte, dass diese Routine: Spazierengehen, einen Song auswählen und tanzen, eine große Rolle in meiner Genesung spielte. Sowohl pyhsisch als auch mental. Es war, als ob ich mich wieder mit meinem Körper verbinden konnte.

Als ich dann die ersten Symptome der Wechseljahre verspürte und realisierte, wie wenig Frauen – so auch ich – über diese Zeit wissen, hatte ich die Idee, dass meine Tanzroutine auch für andere Frauen hilfreich sein könnte. Und dass ich so auch die Stille und das Tabu um die Wechseljahre aufbrechen könnte.

Wie hast Du die Zeit erlebt, als Du selbst die ersten Wechseljahressymptome bemerktest?

Ich wusste nichts über die Wechseljahre, also habe ich erst mal gegoogelt. Es fühlte sich schrecklich an – je mehr ich über die Wechseljahre las, desto mehr hatte ich das Gefühl, ich habe mein Ablaufdatum erreicht. Das war es jetzt. Jetzt geht es nur noch bergab, bis ich sterbe. Ich habe mich geschämt und konnte mit niemanden darüber reden. Ich wollte auch nicht darüber reden, denn ich wollte auch keine Bestätigung bekommen, dass ich wirklich in den Wechseljahren bin. Ich habe gedacht: solange mir niemand wirklich bestätigt, dass ich in den Wechseljahren bin, brauche ich mich ja nicht damit zu konfrontieren. Gleichzeitig habe ich immer gedacht: Das Leben kann doch nach den Wechseljahren nicht vorbei sein!

Das ist es ja auch nicht. Viele Frauen stellen gerade in dieser Zeit großartige Dinge auf die Beine. So war es dann ja auch bei Dir. Wie war der Weg bis zu dem Projekt?

Ich habe die Company verlassen und ein Masterstudium begonnen. In meiner Abschlussarbeit habe ich meine Erfahrung verarbeitet und ein Stück gestaltet, das „Vorbereiten auf die Menopause – ein Selbsthilfetanz“ hieß. Ich hatte realisiert, dass viele meiner Symptome, die mit meiner Verletzung zusammenhingen, auch in den Wechseljahren auftreten können. Das machte mich neugierig darauf, welche Geschichten andere Frauen erzählen können, wenn auch sie diese Tanzroutine ausprobieren. Mit der Zeit entwickelte sich aus meiner Abschlussarbeit und den weiteren Erfahrungen dann das Stück „When the bleeding stops“, bei dem ich Frauen einlade, mitzuwirken.

Wie findest Du die Frauen?

Am Anfang hatte ich eine offene Einladung in eine Wechseljahres-Facebook-Grupppe hier in Island gepostet: Probiert meine Routine aus, geht spazieren, konzentriert Euch auf Eure Gedanken und Gefühle, sucht dann zu Hause einen gerade passenden Song aus und tanzt. Ich hatte auch gefragt, ob die Frauen Lust hätten, sich beim Tanzen zu filmen und mir die Videos zu schicken. Und dann bekam ich all diese Videos von Frauen, die in ihrem Wohnzimmer tanzten. Das war sehr berührend. Inzwischen ist es so, dass ich immer wenn wir reisen, Frauen vor Ort einlade, mitzumachen. Wir arbeiten zunächst online, dann lade ich sie ein, mit mir auf die Bühne zu gehen. Ich nutze auch die Videos, die mir geschickt werden, wenn die Frauen damit einverstanden sind.

Wie kam „Wenn the bleeding stops“ von Island nach Wiesbaden?

Wir waren mit dem Stück auf einem großen Tanztreffen in Dublin. Seitdem bekommen wir Einladungen aus allen möglichen Orten. Allein für die nächsten Monate stehen 15 verschiedene Städte auf dem Programm, eventuell kommen wir auch noch mal nach Deutschland, diesmal nach Köln.

Wie erklärst Du dir die positive Wirkung Deiner Tanzroutine?

Es ist keine Therapie, die ich anbiete, aber viele Frauen finden es sehr therapeutisch. Es scheint, als würden sich die Frauen über den Tanz öffnen können, eine besssere Verbindung zu ihrem Körper bekommen. So können sie auch mit den Symptomen der Wechseljahre wieder besser umgehen, sich selbst fühlen, ein neues Bild von sich finden. Manchen Frauen reicht es, ein- oder zweimal zu tanzen, andere haben meine Routine auch zu ihrer gemacht, weil sie merken, dass es ihnen hilft. Eine Frau hat mir z.B. erzählt, dass sie sich das erste Mal in ihrem Leben schön gefühlt hatte. So etwas berührt mich tief.

Auch ich habe es getestet, wir sind ja über Deinen Aufruf für die Produktion in Wiesbaden in Kontakt gekommen. Da ich früher viel getanzt hatte, auch Turniere, fand ich die Idee sehr spannend. Aber mich beim Tanzen zu filmen – das hat mich schon Überwindung gekostet. Wie reagieren die Frauen auf Deine Bitte, sich zu filmen und Dir die Videos zu schicken?

Das ist tatsächlich für viele Frauen ungewohnt oder sogar unangenehm. Man muss das auch nicht machen. Aber das Filmen macht etwas mit Dir. Es ist ein Unterschied, ob Du nur für Dich tanzt oder ob Du dich dabei filmst, ob Du das Video dann an mich schickst und sogar zustimmst, dass es veröffentlicht wird. Manchmal mag man es, an anderen Tagen eher nicht. Aber Du entscheidest. Allein diese Kontrolle zu haben, ist für viele Frauen sehr hilfreich, die sich sonst den Wirren der Wechseljahre ausgeliefert fühlen.

Ich finde es auch spannend, ob Frauen ihre eigenen Videos anschauen mögen oder nicht. Es kann sehr interessant sein, sich selbst über die Zeit zu begleiten und zu sehen, wie sich der Tanz ändert. Und sich selbst zu erlauben, dass sich der Tanz und auch der Körper ändert. Das ist für mich auch ein wesentlicher Bestandteil der Wechseljahre.

Du machst das Projekt jetzt seit fünf Jahren. Wird es lauter um die Wechseljahre oder steht immer noch die Stille und das Tabu im Vordergrund?

Es verändert sich etwas. Auch aus medizinischer Sicht. Ich halte zu Beginn des Stücks einen Monolog, in dem ich Informationen über die Wechseljahre gebe. Den musste ich in dieser Zeit bereits dreimal ändern: Zunächst hieß es „Auf keinen Fall Hormone“, dann „Hormone sind okay“ und aktuell eher „Du musst Hormone nehmen“. Und das wird es bestimmt nicht gewesen sein. Ich habe gerade in einem Artikel gelesen, dass man jetzt untersucht, wie die Wechseljahre einfach überspringen werden könnten. Das find ich sehr fragwürdig, für mich ist das ein Herumpfuschen mit der Natur. Und auch ein Zeichen, dass wir in unserer westlichen Gesellschaft immer noch einem jugendlichen Ideal hinterherlaufen. Andere Gesellschaften haben ja ein viel positiveres Bild vom Alter und von Frauen nach der Menopause.

Was sich auch ändert: unser Stück ist gut besucht und wir großartige Reaktionen bekommen, das wäre vor zehn, fünfzehn Jahren vielleicht nicht so gewesen. Im Publikum sitzen allerdings fast nur Frauen. Aber immerhin kommen auch einige Männer. Der positive Zuspruch zeigt mir, dass es richtig ist, das Stück auf die Bühne zu bringen. Aber auch, dass noch ein weiterer Weg vor uns liegt, bevor wir wirklich die Stille durchbrochen haben. Ich sehe das so: Frauen in den Wechseljahren können genauso verwirrt sein wie Teenager. Vielleicht sogar noch mehr. Der Unterschied ist: Bei Teenagern wissen wir, was passiert, wir verstehen sie und unterstützen sie. Das sollten wir auch für Frauen in den Wechseljahren als selbstverständlich ansehen. Wir sind starke Frauen und haben noch viel vor. Und diese Geschichte sollten wir erzählen.

Bild von © Owen Fiene

https://www.whenthebleedingstops.com/

Trailer: