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Wie sag ich’s meiner Chefin?

Andrea, 49, kam mit einem ungewöhnlichen Anliegen zu mir in die Praxis. „Ich bin gut informiert über die Wechseljahre, meine Ärztin hat mich umfassend beraten.“ In Andreas Fall hatten sich beide gegen eine Behandlung mit Hormonen entschieden, da es gesundheitliche Risiken gab.

„Mir geht es eigentlich ganz gut, ich gehöre wohl zu den Frauen, die nur mit leichten Beschwerden durch die Wechseljahre gehen“, sagte Andrea. Aber sie zählte doch einige Punkte auf, die ihr den Arbeitsalltag erschwerten. Sie litt unter Stimmungsschwankungen und auch die Hitzewallungen waren ihr unangenehm. „Ich versuche dann immer, schnell auf die Toilette zu gehen und dort abzuwarten, bis es mir besser geht. Ich habe aber das Gefühl, dass ich inzwischen schon schief angeschaut werde.“

Rede doch mit Deiner Chefin!

„Rede doch mit Deiner Chefin!“, das war der Tipp einer Freudin, mit der Andrea über ihre Probleme geredet hatte. Zunächst hatte sie das weit von sich gewiesen. Sie hatte Angst, dass sie als nicht mehr leistungsfähig angesehen würde. Als Älteste in ihrem Team hatte sie sowieso das Gefühl, schnell aufs Abstellgleis geschoben zu werden. „Wenn ich jetzt auch noch sage, dass ich in den Wechseljahren bin, dann kann ich mir die nächsten Karriereschritte doch gleich abschminken, da nimmt man mich doch überhaupt nicht mehr ernst!“

Tabuthema Wechseljahre

Wie Andrea geht es vielen Frauen: Sie haben Symptome, die ihnen den Arbeitsalltag erschweren. Manchmal könnten leicht Lösungen gefunden werden: so hilft eine flexible Arbeitszeitregelung dabei, eine schlaflose Nacht durch einen späteren Arbeitsanfang oder häufigere Pausen auszugleichen. Natürlich geht das nicht in jedem Job, daher ist das Gespräch zwischen den betroffenen Frauen und ihren Führungskräften wichtig, uim eine individuelle Lösung zu finden. Doch über Wechseljahres-Symptome zu sprechen, gehört noch nicht zu den normalen Themen im Mitarbeiter:innengespräch. Gerade männliche Führungskräfte oder jüngere Chefinnen haben wenig Erfahrung damit, wie sie über die Herausforderung „Wechseljahre und Job“ sprechen können und wissen auch kaum etwas darüber, was den Frauen diese Zeit erleichtern könnte.

Tipps fürs Gespräch

Von Andrea ließ ich mir zunächst die organisatorische Seite ihres Problems schildern: Mit wem arbeitet sie wie zusammen, wie ist die Unternehmenskultur, welche Unterstützungsangebote im gesundheitlichen Bereich gibt es bereits. Dann überlegten wir gemeinsam, was Andrea in dem Gespräch erreichen wollte. Ging es „nur“ ums Verständnis, wollte sie konkrete Veränderungen durchsetzen, wollte sie die Sicherheit bekommen, dass sie weiterhin als wertvolle Mitarbeiterin angesehen wird.

Mit diesen Informationen konnten wir einen Plan für Andrea erarbeiten: Sie brachte ihre Ziele in eine Reihenfolge, wir testeten, welche Sätze für Andrea passend erschienen und überlegten, wen sie außer ihrer Chefin im Unternehmen für einen offeneren Umgang mit dem Thema Wechseljahre im Job gewinnen konnte.

Was es gebracht hatte

Andrea rief mich nach dem Gespräch mit ihrer Chefin an. „Meine Chefin war zwar erst sehr überrascht, dass ich meine Beschwerden so offen ansprach. Dann aber auch sehr erleichtert.“ Sie hatte schon bemerkt, dass Andrea irgendwelche Probleme hatte. Und sogar befürchtet, dass sie keine Lust mehr auf ihren Job hat. Das offene Gespräch hat beiden Seiten viel gebracht. Für Andrea die Erleichterung, dass sie sich mit ihren Symptomen nicht mehr verstecken muss und die Sicherheit, dass ihre Chefin weiterhin viel von ihr und ihrer Arbeitsleistung hält. Für ihre Chefin die Erleichterung, dass Andrea nicht mit dem Gedanken an Kündigung spielt. Gemeinsam haben sie mit der Frauenvertreterin einen Vortrag über die Wechseljahre organisiert. Und Andreas Chefin hat es sich nicht nehmen lassen, auch ihre männlichen Kollegen persönlich einzuladen. Zwar ohne Erfolg – aber der erste Schritt zu einem offenen Umgang mit den Wechseljahren ist damit in diesem Unternehmen gemacht.